Potsdamer Fraunhofer-Institute entwickeln Strategien gegen Corona und Krebs

Mikroforschung mit großer Wirkung

PNN Sonderbeilage /

Dr. Katja Uhlig – Arbeitsgruppenleiterin Mikrosysteme für in-vitro-Zellmodelle. Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, Institutsteil Bioanalytik und Bioprozesse IZI-BB.
© Katja Uhlig, Foto: iklick Fotostudio
Dr. Katja Uhlig – Arbeitsgruppenleiterin Mikrosysteme für in-vitro-Zellmodelle am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, Institutsteil Bioanalytik und Bioprozesse IZI-BB.

Es braucht nur ein wenig Phantasie, sich das Zusammenspiel von Architektur und Funktion des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie, Institutsteil Bioanalytik und Bioprozesse (IZI-BB), vorzustellen. Die Fenster des dunkelgelben Baukörpers, verbunden durch mäandernde Fassadenbänder, assoziieren Zellen und Zellverbindungen. Hier beschäftigt sich Katja Uhlig mit der Analyse von Zellen sowie »Zellkulturen mit eingebauter Sensorik, um den Zustand der Zellen besser messen und kontrollieren zu können«, wie sie sagt.

Die Bioingenieurin leitet die Arbeitsgruppe Mikrosysteme für In-vitro-Zellmodelle. Sie und ihr Team arbeiten mit einem raffinierten Kunststoffbauteil, das aussieht wie ein kleines Plexiglaskästchen mit Kammern und »Töpfchen« und kaum größer ist als eine Streichholzschachtel. In diesen Mikrobehältern, die mit zahlreichen Sonden zur Wirkstoffanalytik ausgestattet sind, lassen sich humane Zellen – hier zum Beispiel Leberzellen – mit der sogenannten Organ-on-Chip-Technologie züchten, messen und erforschen. »In den Töpfchen mit den Zellen werden Wirkstoffe hindurchgespült und gleichzeitig die spezifischen Reaktionen der Zellen in Echtzeit untersucht«, erklärt Uhlig. »Das Besondere an diesem komplexen System ist, dass wir die Funktionen der Zellen durch die Kontrolle ihrer Umgebung bewahren können. Denn die Zellen behalten hier ihre Eigenschaften, ihre Konfiguration entspricht lebenden Zellen, an denen sich physiologische Prozesse und Wirkungen ablesen lassen.«

In der Medizin, meint Uhlig, wäre die Etablierung dieser humanbasierten In-vitro-Modelle vor allem für Erforschung und Therapie menschlicher Krankheiten essentiell. Die Verwendung organähnlichen Mikrostrukturen, etwa patientenabgeleiteter Tumorzellen, ermögliche eine personalisierte, »auf den Menschen individuell zugeschnittene« Therapie. Der Krebs könnte so gezielter und effizienter behandelt werden. Hinzu käme ein weiterer Gewinn aus der derzeitigen Entwicklung vom Fraunhofer IZI-BB und der Cellphenomics GmbH. Diese spiele »als Alternative zu Tierversuchen eine entscheidende Rolle«, so Uhlig. Sind doch die Organ-on-Chip-Modelle in Zukunft für viele Bereiche »aussagekräftiger und genauer als Tierversuche«. Für deren Ende wäre das ein wichtiger Schritt. Es überrascht keineswegs, dass sich Wissenschaftler*innen der beiden Potsdamer Fraunhofer Institute an »Corona-Projekten« zur Bekämpfung der aktuellen Pandemie beteiligen. Möglich ist das dank des guten Wissenstransfers zwischen den Instituten vor Ort und anderen Standorten.

Ruben R. Rosencrantz leitet am Fraunhofer Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) den Forschungsbereich »Life Science und Bioprozesse« sowie die Abteilung »Biofunktionalisierte Materialien und (Glyko)Biotechnologie«. Er ist mit seinen rund 30 Mitarbeitenden gleich an mehreren Initiativen im Kampf gegen Covid-19 beteiligt, bildet doch die Polymerforschung einen wesentlichen Baustein bei der Entwicklung von Technologien gegen das Virus. »Wir befassen uns mit der Testung und Entwicklung von Polymeren für die Anwendung in Medikamenten, im Medizin- und Gesundheitsbereich – aktuell eben auch gegen Covid«, betont Rosencrantz. So werde am Fraunhofer IAP etwa an der Entwicklung neuer antiviraler Beatmungsmasken geforscht, die Viren herausfiltern.

Außerdem soll ein weiteres Projekt, zusammen mit einem Industrieunternehmen, die Verbesserung von Schnelltests ermöglichen. Diese hochsensitiven Tests zur Diagnostik von Sars-Cov-2-Viren »sollen einmal so schnell wie gegenwärtige Antigentests, aber zugleich so genau wie PCR-Tests stattfinden können«. Mit dem Projekt »Beat-Covid« ist das Fraunhofer IAP an der Entwicklung eines Medikaments gegen Covid-19 beteiligt.

»Bei der Frage etwa, wie schnell und wo genau sich ein Medikament im Körper Ruben R. Rosencrantz auflösen soll und wirken muss, entwickeln wir Modelle für diesen quasi zielgerichteten Transport«, umschreibt Rosencrantz das Verfahren. Diese so genannten »Wirkstoff-Formulierungen« basieren auf Polymeren, also synthetischen oder biologischen und in diesem speziellen Fall zuckerbasierten Molekülketten. Sie dienen als besagtes Transportmedium für Wirkstoffe. 

»Bei ,Beat-Covid' geht es um die Wirkstoff-Formulierung von RNA-Wirkstoffen. Dafür werden von uns Polymere erzeugt, die einerseits ungiftig sind und andererseits die RNA schützen und zudem dafür sorgen, dass der RNA-Wirkstoff an sein Ziel gelangen und von den Zellen gut aufgenommen werden kann.« Kein leichtes Unterfangen angesichts der instabilen RNA-Nukleotiden. Patienten sollen die neuen Medikamente künftig als Spray mit Applikator inhalieren können. Ein Spray – und das ist die Herausforderung – für kranke Lungenzellen muss »muco penetrierend«, also schnell und unbeschadet durch die mit Schleim geschützten Atemwege kommen. »Und das Potenzial von RNA-Medikamenten ist noch viel größer. Es lässt sich für viele Krankheiten bis hin zur Krebstherapie einsetzten«, ist sich Rosencrantz sicher.

Rolf Lautenschläger